Rudern im Ganztag: „Eine wunderbare Mischung“

(31.07.2018 / Autor: Stephan Lüke) Seit Jahren unterstützt der Landesruderverband Baden-Württemberg Vereine, die diese Sportart in der Schule etablieren. Immer mehr erkennen den Mehrwert eines solchen Engagements. Holger Knauf, der Landesbeauftragte für Schülerrudern, im Gespräch.

Online-Redaktion: Herr Knauf, „Schulrudern – wie pack ich’s an?“ lautet die Überschrift auf Ihrer Homepage beim Landesruderverband Baden-Württemberg. Umgekehrt gefragt: Warum sollten Vereine das Schulrudern anpacken?
Holger Knauf: Es gibt gute Gründe, sich in der Schule zu engagieren. Nicht zuletzt durch die ständig steigende Zahl von Ganztagsschulen ergeben sich Möglichkeiten, für unseren Sport und den eigenen Verein Werbung zu betreiben. Es ist leichter möglich, den Ruf und das Ansehen positiv zu beeinflussen. Ein Ansehen, das dokumentiert, dass sich ein Verein nicht nur für den Leistungs-, sondern eben auch für Breitensport und Gesundheitsförderung stark macht. Kooperationen mit Schulen, seien es Ganztags- oder Halbtagsschulen, bieten die Chance, das eigene Portfolio zu erweitern.
Dass ein Ruderangebot in der Schule darüber hinaus den Vereinen neue Mitglieder bescheren kann, ist ein wunderbarer Nebeneffekt. Mal ganz abgesehen davon, dass sich unter den Schülerinnen und Schülern manch ein Talent befindet, das sonst gar nicht entdeckt worden wäre.

Online-Redaktion: Ein Problem für Vereine und Ehrenamtliche sind die Arbeitszeiten während der Schulzeit…

Knauf: Ein auf den ersten Blick berechtigter Einwand. Aber es müssen nicht unbedingt hauptamtliche Trainer sein. Der Landessportbund und der Landesruderverband bieten einmal jährlich gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg eine Mentorenausbildung für junge Ruderer an. Üblicherweise bereiten sich darin 16 bis 18 Sportlerinnen und Sportler auf einen Einsatz an einer Schule vor. Das sind zumindest junge Leute mit tollen Ideen, enormen Engagement und dem Impuls, Rudern bekannter zu machen – durch ihre Doppelrolle dienen sie gleichzeitig auch als Vernetzung zwischen Schule und Verein. Aktuell verfügen wir über rund 90 aktive Mentoren. Manche betreiben Nachwuchsarbeit im Verein, andere gehen in Schulen.

Online-Redaktion: Wie können Schulen diese Mentoren bezahlen?

Knauf: Möglich ist das zum einen über das Kooperationsmodell Schule und Verein. Das Land unterstützt die Maßnahme mit 360 Euro pro Schuljahr. Darüber hinaus existiert das sogenannte Jugendbegleiterprogramm. Es ermöglicht insbesondere beim Ausbau der Nachmittagsangebote an Ganztagsschulen das Engagement externer „Experten“, der Jugendbegleiter. Das können auch Übungsleiter oder Trainer aus einem Sportverein sein. Wie viel der Jugendbegleiter erhält, wird mit der Schulleitung abgestimmt. 8 Euro pro 45-minütiger Unterrichtsstunde sind möglich. Häufig bezahlen die Schulen den Verein für das Schulrudern aus dem eigenen Schuletat beim Schulträger. Und nicht zuletzt helfen auch Fördervereine an den Schulen und tragen dazu bei, dass Übungsleiter mitfinanziert oder Ruderboote für die Kooperation gekauft werden können.

Online-Redaktion: Welche Unterstützung bieten Sie als Referent für das Schulrudern beim Landesruderverband ihren Vereinen?

Knauf: Vieles dreht sich um Aufklärung und Beratung. Ich setze mich mit den Vorständen und Vertretern von Schulleitungen oder Sport-Fachschaften zusammen, verdeutliche den Nutzen des Schulruderns, zeige aber auch auf, wie mit zukünftigen Kooperationspartnern diskutiert und wie Kooperationsverträge abgeschlossen werden können. Dabei gibt es aber keine pauschale Patentlösung, da die Ausgangsvoraussetzungen teils sehr unterschiedlich sind – es geht eher darum, dass man anhand von Best-Practice-Modellen den Schulen und Vereinen Möglichkeiten aufzeigt, die bei anderen Kooperationen funktionieren, aber auch vor möglichen Fehlern warnt, die bei Kooperationen gemacht werden können.

Online-Redaktion: Wie viele Vereine bieten Schulrudern an?

Knauf: Rund 20 von insgesamt 42 Vereinen. Es gibt Vereine, die nicht nur wegen der Personalfrage dem Schulrudern reserviert gegenüberstehen. Manche haben auch Sorge um ihr teures Material, andere glauben, dass ihnen das Engagement nichts bringt, zumindest keine neuen Mitglieder.

Online-Redaktion: Was halten Sie diesen Bedenken entgegen?

Knauf: Die Erfahrung lehrt, dass Schülerinnen und Schüler sehr verantwortungsbewusst mit den Booten umgehen. Und ganz ehrlich: Wo ist der Unterschied, ob Jugendliche im Rahmen des Schulangebots im Boot sitzen oder sich direkt einem Verein anschließen? Was die Mitgliederzahlen angeht, gibt es bislang keine Erhebungen. Da kann ich nur von der Entwicklung an meiner Schule, dem Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach, sprechen. Hier melden sich jährlich circa 70 Schülerinnen und Schüler zum Rudern an. Rund zehn von ihnen schließen sich anschließend einem Verein an.

Online-Redaktion: Wo sehen Sie die größten Hürden für die Schulen, sich auf eine solche Zusammenarbeit einzulassen?

Knauf: Ich sehe mehrere Aspekte. Oft scheuen Schulen den mitunter weiten Weg zur Ruderstätte. Das muss tatsächlich gut organisiert werden. Und dann spielt die Uhrzeit häufig eine wichtige Rolle. Schulen sagen uns, dass Schülerinnen und Schüler schwer zu motivieren sind, noch einmal zum Training aufzubrechen, wenn sie erst einmal zuhause waren. Darum empfehlen wir, die Ruderkurse in Absprache mit der Schule dicht ans Schulende zu legen. Ich will nicht verschweigen, dass dem Rudern mitunter aus seiner Tradition heraus ein etwas elitärer Ruf anhaftet. Das könnte übrigens auch ein Grund dafür sein, dass sich fast ausschließlich Gymnasien diesem Sport widmen.

Schwer macht es uns zudem die Tatsache, dass Rudern in der Sportlehrerausbildung in Baden-Württemberg nicht mehr existiert. Die Erfahrungen zeigen, dass das Schulrudern dort am besten funktioniert, wo an den Schulen Lehrkräfte tätig sind, die mit dem Rudern zu tun haben und sich für das Schulrudern begeistern können. Diese Begeisterung zeit sich dann auch im Ruderangebot der Schule, in der Initiative gegenüber dem örtlichen Ruderverein und letztendlich in den Meldezahlen und Erfolgen beim Schulsportwettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“.

Online-Redaktion: Kann sich eine Familie, deren Kind in der Schule fürs Rudern Feuer gefangen hat, anschließend eine Mitgliedschaft im Verein leisten?

Knauf: Rudern ist tatsächlich teuer. In erster Linie aber, was die Anschaffung und die Instandhaltung sowie -setzung anbetrifft. Ein Achter kostet beispielsweise rund 40.000 Euro. Doch diese Kosten geben die meisten Vereine nur bedingt an ihre jugendlichen Mitglieder weiter. Deren Jahresbeitrag liegt zwischen 150 und 300 Euro. Das ist sicher mehr als in einem Fußballverein, aber auch weniger als in anderen Sportarten. Dafür aber erhalten die Kinder und Jugendliche eine aufwendige Grundausbildung. Wenn diese übrigens im Rahmen des Schulruderns stattfindet, haben manche Vereine Spezialtarife für die ersten Jahre der sich anschließenden Vereinszugehörigkeit entwickelt. Dort zahlen die Nachwuchsruderer etwa nur die Hälfte. Aber klar: Auch 75 oder 150 Euro pro Jahr müssen erst einmal bezahlt werden.

Online-Redaktion: Welche sozialen Effekte erzielt das Rudern?

Knauf: Unsere Sportart bietet eine wunderbare Mischung – einerseits eine große individuelle Entwicklung und Erfahrung und zugleich das Miteinander. Das fängt schon beim Boot tragen, Einsteigen und Ablegen an: Ohne den Anderen geht es nicht. In einem Boot läuft es am besten, wenn die Harmonie und Abstimmung passen. Ruderer merken und wissen, dass sie nur dann gut rudern, wenn man auf den Schwächeren Rücksicht nimmt, ihn unterstützt, ihm Tipps gibt und sich für ihn auch schon einmal besonders engagiert. Rücksicht und Geduld spielen eine große Rolle.

Aber natürlich gibt es im Leistungsbereich später auch so etwas wie Selektion, den Kampf um den Platz im erfolgreichen Boot. Neben den gruppendynamischen Prozessen lernen die Sportler auch, sich konsequent an Regeln zu halten oder im Boot Verantwortung zu übernehmen – etwa wenn sie mit ihrem Boot Schifffahrtswege nutzen oder als Steuermann dort für ihre Mannschaft zuständig sind.

Online-Redaktion: Sie erwähnten die Schule als Talentpool. Wurden bereits Talente entdeckt?

Knauf: Eine ganze Reihe sogar. Sowohl die Olympiasiegerin von Rio im Doppelvierer Carina Bär als auch der Olympiasieger im Achter, Christof Wilke, haben in der Schule mit dem Rudern begonnen. Lustige Randnotizen zu den beiden: Carina Bär wurde im Sportunterricht von ihrem Lehrer und späteren Heimtrainer Marco Haaf im Sportunterricht entdeckt und wenig später ins Lehrerzimmer einbestellt. Dort prophezeite dieser ihr, dass sie „in zehn Jahren Olympiasiegerin wird“. Genauso ist es gekommen. Und Christof Wilke hat seine Karriere beim Schulrudern an der Evangelischen Schule Schloss Gaienhofen am Bodensee begonnen, ist mittlerweile Lehrer und kehrt in nächster Zeit an den Bodensee zurück.

Online-Redaktion: Wenn Sie ein paar Jahre vorausschauen: Wo steht das Schulrudern in Baden-Württemberg 2025?

Knauf: Es wäre klasse, wenn sich bis dahin 30 Vereine dafür begeistern könnten, Kooperationen mit Schulen einzugehen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Quelle: https://www.ganztagsschulen.org/de/28459.php

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